Die Innungsladen der Stadt Ortrand

Posted by Klaus Hauptvogel am 17. Januar 2020

Die Innungsladen der Stadt Ortrand

Autor: Klaus Hauptvogel

Vorwort

Eines Tages fiel mir das wunderbare Buch „Ritus und Symbol – Sächsische Innungsladen aus fünf Jahrhunderten“ von Jochen Voigt in die Hände.
Dieses Buch faszinierte mich vom ersten Augenblick an. Kein Wunder, schließlich entstamme ich einer uralten Handwerkerfamilie und Innungsladen sind Zeugen des Handwerks, gegenständliche Handwerksgeschichte.
Ich entsann mich, dass auch mein Großvater eine Lade sicher aufbewahrt hatte. Er konnte sie über den letzten Krieg retten, indem er sie mit Witz und Geistesgegenwart vor der Zerstörung durch sowjetische Besatzungssoldaten rettete. Diese Schützenlade der Stadt Ortrand, mein Großvater war der letzte Schützenmajor der 1466 neu gegründeten Schützengilde, wurde von meinem Vater dem Stadtgeschichtsmuseum zur Ausstellung übergeben.
Als ich diese Lade im neu gestalteten Museum besuchte, habe ich erstaunt festgestellt, dass Ortrand einen Fundus an Innungsladen besitzt, auf den so manche größere Stadt neidisch sein kann.
Das wiederum bewog mich, auch über unsere Ortrander Laden mehr zu erfahren und es niederzuschreiben.
Diese Schrift soll das Interesse des Lesers wecken, kein trockener Wissenschaftstext; aber der Autor war bemüht, nur das zu bringen, was auch bewiesen ist, also sich möglichst nicht in Spekulationen oder Vermutungen zu ergehen, es sei denn es wird ausdrücklich darauf verwiesen.


Innungsladen und Innungsbücher

Die Innungslade war für die jeweilige Innung ein Heiligtum, sicher bewusst oder unbewusst der biblischen Bundeslade nachempfunden. Der Lade wurde das Innungsbuch und das Vermögen der Innung anvertraut. Nur bei offener Lade vor versammelter Innung, wie immer wieder in den Innungsbüchern erwähnt, wurde der Lehrling zum Gesellen freigesprochen und der Geselle zum Meister lobgesprochen. Beispiel sei dazu eine Niederschrift einer Meistersprechung der Ortrander Schuhmacher:

.... so will ich Sie nach Handwerksgebrauch, im Namen Gottes vor versammelter Prüfungs Commision bei offener Lade zu Meister sprechen ...“

Auch wichtige Beschlüsse wurden bei offener Lade gefasst, wie man zum Beispiel im Innungsbuch der Tuchmacher lesen kann:

Ortrandt den 2. July 1769

Heute dato hat Ein Loblich Handtwerck bey offener Lade überleget, und beschloßen, daß es nöthig sey das die Meisterschaft.... bey Gerichte ... wegen des Spinnrechtes...

Das Innungsbuch war Geschäftsbuch, Kontobuch und Tagebuch der Innung zugleich. Ihm wurden die Nöte der Innung anvertraut wie der Stadtbrand von 1838 mit seinen Auswirkungen oder der Brand der Walkmühle am 28. April 1771, die der Innung gehörte. Die Niederschriften und Beschlüsse der regelmäßigen Versammlungen sind in diesen Büchern ebenso zu finden wie Revisionen des Amtes Hayn, dem heutigen Großenhain. Auch kann man darin etwas über die Solidarität der Innungen anderer Städte erfahren, als nach dem Stadtbrand deren Spenden akribisch aufgelistet wurden. Die Innung selbst half selbstverständlich ebenfalls den vom Brand betroffenen Mitgliedern. Hierbei sieht man, dass zum Beispiel in der Tuchmacherlade erhebliche Geldbeträge aufbewahrt wurden. Deshalb haben einige der Laden zwei Schlösser mit unterschiedlichen Schlüsseln. Wie man im Statut der Ortrander Schmiede, Nagler und Schlosser lesen kann, hatten der Obermeister und der Kassenführer je einen Schlüssel. Der Obermeister hatte die Lade aufzubewahren. Es ist denkbar, dass bei den Laden mit nur einem Schloss die Laden bei den Obermeistern und die Schlüssel bei den Kassenführern aufbewahrt wurden, um einen unberechtigten Zugriff eines Einzelnen auf das Bargeld und die geldwerten Papiere zu verhindern.
Zur weiteren Sicherheit war zu den Innungsversammlungen, in denen die Lade geöffnet wurde, ein nicht stimmberechtigter Beisitzer vorgeschrieben. Diesen stellte der Rat der Stadt Ortrand. Oft war es der Bürgermeister selbst.
Auch bei den Schuhmachern gab es laut §36 der Innungsstatuten zwei Schlüssel, einer beim Obermeister und einer beim Kassenführer. Allerdings hat die Lade nur ein Schlüsselloch, was bedeutet, das wohl zwei Personen unabhängig voneinander die Lade öffnen konnten. Leider ist diese Lade verschlossen und die Schlüssel fehlen.
Das Vermögen in der Innungslade war die Versicherung der Innung, für Sterbegeld, Witwengeld, Krankheit, Brandschutz und andere Unglücksfälle zugleich, wie im Innungsbuch der Ortrander Schuhmacher zu lesen ist:

... der Fürsorge für die Wittwen und Waisen der Innungsgenossen sich zu unterziehen, die Verwaltung der für die Innungsgenossen errichteten Kranken- Sterbe- Hülfs- und Sparkasse zu leiten.“

Deshalb waren die Laden von eminenter Bedeutung. Nicht von ungefähr ist deshalb die Innungslade der Tuchmacher mit den Innungsbüchern erhalten geblieben, obwohl beim großen Stadtbrand in Ortrand am 4. Oktober 1838 der Obermeister Gottlob Schober das Haus und alle seine Maschinen wie Spinn- und Bürstenmaschinen verlor.
Die Innungslade mit den Innungsbüchern jedenfalls hat Schober aus seinem brennenden Haus retten können.

Bei offener Lade wurde auch der „Grosse Betrug“ der Tuchmacher im Jahr 1708 verhandelt. Offensichtlich hat es Beschwerden von Kaufleuten auf den Jahrmärkten gegeben, dass die Ortrander Tuchmacher ihre Tuche zu sehr dehnten, sodass sie später beim Waschen stark einliefen. Es wurde festgelegt, dass nicht mehr als zwei Mann die Tuche dehnen durften und der „Dähne Fuß aber gänzlich abgeschafft werde ... bey Straffe“. Diese Strafe war in die Innungslade zu zahlen. Ich vermute, dass der „Dähne Fuß“ eine Vorrichtung war, um die Tuche zusätzlich mit Fußkraft zu dehnen.

Die Tuchmacherinnung gehörte wohl neben den Brauern zur wichtigsten Innung der Stadt Ortrand, wie ihre Mitgliederzahl belegt. Die Tuchmacher waren sich der Verantwortung für die Stadt wohl bewusst, denn in ihrem Innungsbuch kann man wie in einer Stadtchronik lesen, zum Beispiel über den genauen Hergang des Stadtbrandes von 1838.

Es herrschten einst raue Sitten in dieser Innung, wie man in den Innungsartikeln von 1584, in den Artikeln 5 und 3 lesen kann:

Artickell

Und Vorwilligung des Gantzen Handwerges der Tuchmacher alhier zu Ortrandt, wie dieselben vor älters anno 1555 aufgerichtet und bis anher Anno fest und unvermindert..., Und dieses 1584 Jahr wiederumb Resionieret wie folgens

Artikell 5.

Wenn ein Tuch halb zu dünne ist, Soll fünf groschen straff geben, Und ein ohr abgeschnitten werden.

Artikell 3

Welcher meister in Versammlung des handwerges sich ungebührlich verhalten undt Erbrechen wurd Soll ohne alles nachlassen das fas Bier wieder füllen“

Man durfte also nach dem Erbrechen weiter trinken, musste jedoch zur Strafe die Zeche bezahlen.
Das Trinken war zu dieser Zeit wohl allgemein Unsitte unter den Handwerkern.
So schreiben doch Kurfürst Moritz und sein Bruder August am 12. November 1550 in einem Anschreiben „die Policey, Justiz und andere Articul belangend:

Wir, Moritz, des heiligen Reichs Erzmarschall und Churfürst, Und von denselben Gnaden Wir Augustus Gebrüdere, Herzogen zu Sachsen....

Die Handwerksleute fleißigen sich übermäßiger und ungebührlicher Kleidung, auch sonst große Zehrung, kauffen das beste, so zu Markt kommt, warten des Trunks mehr, dann der Arbeit.......

Die Meister in Städten nehmen auff einmahl viel Arbeit an und fördern die Leute nicht, lassen sich oft erinnern, thun vergebliche Vertröstunge, machen die Leute unwillig.“

Wie wir sehen, hat sich manches bis heute erhalten.

Im „Artikell“ 26 von 1584 wurde schon die Innungslade der Tuchmacher erwähnt im Zusammenhang mit einer horrenden Strafe von einhundert Gulden.


Die Laden:

Leider konnte ich bei den meisten Laden nicht hundertprozentig ergründen, zu welchem Handwerk sie gehören. Eine Zuordnung wäre reine Spekulation. Auch die archivarische Beschriftung ist bei einigen Laden offensichtlich falsch.
Allerdings haben nur Lade 1 und Lade 7 zwei Schlüssellöcher. Lade 7 zeigt die Innungszeichen der Tischler. Darum ist zu vermuten, dass Lade 1 den Schmieden Naglern und Schlossern gehörte. Lade 6 kenne ich persönlich, da sie von meinen Vorfahren aufbewahrt wurde. Es ist die Schützenlade. Lade 5 ist eindeutig beschriftet. Sie gehörte den Schuhmachern. Somit sind die drei Laden 5,6 und 7 eindeutig zuordenbar und bei Lade 1 kann man spekulieren.