Unmittelbar nachdem Karl Benjamin Preusker (1761-1871) in Großenhain die erste Bürgerbibliothek im Jahr 1828 eröffnete, wurde auch in der Schwesterstadt Ortrand 1834 eine solche gegründet. Der erste Besitzer war der Bürger und Leinenwebermeister Johann Friedrich Kind. Seine Konzession erhielt er von der Königlich Preußischen Regierung, Abteilung des Inneren, in Magdeburg am 16. Oktober 1834.
Mit seinen Büchern zog er durch die an das Stadtgebiet angrenzenden eigenständigen Länder (Sachsen, Schlesien und Preußen).
So ist in einem Buch der damaligen Leih-Bibliothek von J.F. Kind 1837 zu lesen: „Das Lesegeld von 8 Pfennigen wöchentlich ist für jedes Buch festgesetzt, und auch dann zu bezahlen, wenn zur Ansicht verlangter Bücher innerhalb von zwei Stunden nicht zurückgegeben werden. Ein höherer Lagepreis findet nur bei ganz neuen theuren Werken statt, und ist im Buche selbst bemerkt. Wer ein Buch länger behält, bezahlt nach Verhältnis mehr dafür. Diejenigen, die im Abonnement zu lesen wünschen, bezahlen für einen Monat fünf Silbergroschen, für ein Vierteljahr 15 Silbergroschen und für ein Jahr zwei Thaler. Im Voraus, und erhalten dafür ein Buch auf einmal, welches wöchentlich umgetauscht werden kann. Bei einer größeren Anzahl von Büchern werde ich mich zu den billigsten Bedingungen gern bereitfinden lassen. Auswertige Leser haben den Botenlohn zu bezahlen und für gute Verpackung zu sorgen. Fremde und unbekannte Personen muss ich für jedes Buch um 20 bis 25 Silbergroschen Einlage bitten. Die Bücher müssen sauber und reinlich gehalten werden. Wer ein Buch inwendig beschmutzt oder verdirbt, wer etwas mit Bleistift oder Tinte hinein schreibt, wer Kupfer, Landkarten oder Blätter aus einem Buche schneidet oder herausreißt, wer endlich ein Buch verliert, bezahlt den Wert des selben. Leser, welche Bücher über vier Wochen behalten, werden an die Rückgabe höflichst erinnert.“
Er bot seine Bücher den Bürgern zur Ausleihe an und wurde durch die Gendarmerie deshalb öfters zur Verantwortung gezogen. Dies war auf die strenge Zensur der Regierungen der einzelnen Länder zurückzuführen. Im Januar 1852 übernahm der Sohn, Webermeister Wilhelm Kind, die Bibliothek des Vaters.
Am 15. Oktober 1846 erhielt auch der Tuchmacher Friedrich Lucas die Konzession zum Führen einer privaten Leihbibliothek.
Mit der Zeit übernahm der Bürger Karl Henning alle bestehenden Leihbibliotheken und war der letzte Privatbesitzer.
Am 16. Februar 1906 beschloss die Volksvertretung und am 27. Februar 1906 der Magistrat, anlässlich der Silberhochzeit des Kaiserpaares, eine Volksbibliothek zu gründen. Ein Betrag von 200 Mark, welcher aus dem Zinsüberschuss der Jahre 1904 und 1905 der Stadtsparkasse Ortrand herrührte, war erstes Anfangskapital der Bibliothek.
Am 21. Oktober 1906 wurde sie mit einem Buchbestand von 139 Büchern eröffnet. Pro Buch und Woche musste damals eine Leihgebühr von 1 Pfennig entrichtet werden. Der erste Leiter der Volksbibliothek war der Lehrer Wolf aus Ortrand.
Ab September 1907 bis November 1908 wurde sie durch den Lehrer Müller geleitet und anschließend vom Bankkontrolleur Silchmüller weitergeführt. Am 22. April 1929 wurde die Bibliothek der Stadtparkasse Ortrand zur Betreuung übergeben.
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges konnte die Bibliothek am 5. November 1945 ihre Arbeit mit 264 Büchern wieder aufnehmen. Sie wurde von Frau Maria Zöllter ehrenamtlich geführt. 1963 wurde die erste hauptamtliche Kraft eingestellt.
Eine zweite hauptamtliche Kraft wurde auf Grund des angewachsenen Bestandes 1980 bewilligt und eingestellt. 1982 wurde die Stadtbibliothek zur Stadt- und Zentralbibliothek ernannt und versorgte seitdem alle Gemeindebibliotheken des Gemeindeverbandes Ortrand mit Literatur. (ständiger Kontakt und Büchertausch)
1989 hatte die Bibliothek Ortrand 21000 Bände, 992 Tonträger und die Anzahl der Titel der Zeitungen und Zeitschriften war 47.
Mit dem Umbau des Rathauses wurden auch die Bücher ausgelagert, sortiert und die Bücher, welche weiter zu nutzen waren, äußerst unqualifiziert gelagert. Dazu kamen auch Bücherspenden von Bibliotheken des gesamten Bundesgebietes, die selbiges Schicksal teilten.
Am 18.06.2010 wurde im „Haus der Begegnungen“ oder Böhmischen Villa in der Bahnhofstraße 43 die Bibliothek mit 6000 Büchern wiedereröffnet. Besonderen Einsatz zeigte der damalige Bildungsausschuss, vor allem die beiden Lehrer im Ruhestand Dr. Hans Otto Grimm und Wolfgang Peters. Leider wurde die Betreuung durch Maßnahmen des Arbeitsamtes realisiert und nach dessen Wegfall ist die Bibliothek am 28.10.2012 wieder geschlossen worden. Noch Jahre später hing der Zettel von der „Vorläufigen Schließung“ an der Tür.
Der Heimatverein „1912“ für Ortrand und Umgebung e.V. hat die alte Tradition des Bibliothekswesens in Ortrand nicht sterben lassen wollen. Im „Vereinshaus 2“, der Alten Haagschule, wurde unter großer Mithilfe von Wolfgang Peters ein Raum gefunden und dem Verein zum erneuten Wiederaufbau der Bibliothek übergeben. Leider waren große Teile des Buchbestandes, der Computeranlage etc. für den Heimatverein nicht mehr verfügbar. Ein Excel-Tool ersetzte fortan das Bibliotheksprogramm und alle Bücher wurden erneut aufgenommen, katalogisiert und einsortiert.
Zudem wurde der historische Bibliotheksschrank aufgebaut und mit Büchern der Region, Märchen, Sagen, Legenden aber auch Fachbüchern zur Namens- und Siedlungskunde, Architektur und Kunst, bestückt. Diese stammen aus den Privatbeständen einzelner Vereinsmitglieder und wurden mit zugekauften Exemplaren regionaler Autoren ergänzt.
Jedes Jahr zu den Rathausgesprächen werden Bücher vorgestellt, die unsere Heimat betreffen (z.B. Werte der Heimat; Der Schraden; Die Großenhainer Pflege; Die Königsbrücker Heide; Die Gohrischheide), sich mit der Bau- und Kunstgeschichte beschäftigen (z.B. Schlosshefte Lindenau, Großkmehlen und Guteborn, Adelsgeschichten von Christian Kunath) aber auch Kinderbücher über vom Aussterben bedrohte Haustierrassen, bis hin zu Liebesromanen (Die Taube und das Mädchen von Dr. Hartmuth George).
Zuletzt hatte die Ortrander Bibliothek 3500 Bücher in den Regalen und verfügte über 3000 Bücher im Magazin und versorgte 183 Leser aus Ortrand und Umgebung mit Lesestoff. Ein wesentlicher Vorteil war die Flexibilität der Öffnungszeiten (jeden Montag von 17-19 Uhr und nach telefonischer Voranmeldung auch am Wochenende, konnten Bücher entliehen werden. Gerade deshalb wurde die Ortrander Bibliothek auch von jungen Menschen (vorwiegend für Fernleihe) genutzt.
Neben Schule und Kindergarten ist das Stadtgeschichts- und Schradenmuseum mit Joachim-Schmidt-Galerie eine der letzten Bildungseinrichtungen der Stadt Ortrand.
Nach Beschluss der Stadtverordneten der Stadt Ortrand wurde ein Beschluss gefasst, welcher die Neueröffnung der Bibliothek für den Juni 2019 in Büroräumen auf dem Hinterhof des Rathauses vorsah und eine Räumung und Schließung der Bibliothek zum 31.12.2018. Leider werden diese Räume gegenwärtig zu einem Büro für IT- Techniker des Rathauses umgebaut. Inwieweit ein adäquater Ersatz gefunden werden kann, bleibt offen.
Einige Bilder aus der - im Augenblick leider nicht mehr existierenden - Bibliothek.