Zur Ur- und Frühgeschichte des Ortrander Raumes

Zur Ur- und Frühgeschichte des Ortrander Raumes


von Günter Wetzel

Ortrand liegt in einer relativ siedlungsgünstigen Lage an der Nordausdehnung der in die älteste Saaleeiszeit gehörenden Endmoräne. Der sich nordwestlich anschließende Schraden war relativ unwegsam. Die trockenen Randlagen dieser Niederung sind jedoch zu allen Zeiten vom Menschen aufgesucht worden. Dennoch fließen die Funde spärlich, so dass es schwierig ist, ein Bild der in der Nacheiszeit hier siedelnden Menschengruppen nachzuzeichnen. Da das Material der Ortrander Gemarkung dazu nicht ausreicht greifen wir etwas weiter aus.

Alt- und mittelsteinzeitliche Funde sind von Ortrand bisher nicht bekannt. Aus dem Nachbarort Lindenau stammt als Lesefund jedoch eine rotbraune Feuersteinklinge von 9,3 cm Länge mit feiner Gebrauchsretusche (Aussplitterungen der scharfen Schneidekanten), die man durchaus als mittelsteinzeitlich (8000-3500 v. u. Z.) ansehen kann. (O. F. Gandert, 1933, S. 192 f., Abb. 20). Bei Ruhland, Elsterwerda und Plessa, am Rande der Schradenniederung entdeckte Siedlungs- bzw. Rastplätze mit zum Teil reichhaltigem Material belegen sogar die Anwesenheit des Menschen in der jüngeren Altsteinzeit, also vor rund 10 000 Jahren. Das Urwaldgebiet des Schraden ging in den trockneren Randbereichen, je nach Bodenart und Wasserangebot, in mehr oder weniger lichte Urwälder über, die sicher wildreich waren. Das war die entscheidende Voraussetzung für die Jagd- und Sammelwirtschaft, später auch den Fischfang der alt- und mittelsteinzeitliche Menschengruppen. Von Topographie und von der Hydrologie her müssen also die Gemarkung Ortrand wie auch die angrenzenden Orte aus fast allen Perioden Funde bergen. Der hohe Anteil der Waldbedeckung mag zu der scheinbaren Fundarmut beitragen, es fehlten auch in früheren Jahren interessierte Laien, die Fundmaterial aufhoben. Analog ist das Fundbüro der Jungsteinzeit. Aufgrund der Fundverbreitung verschiedener Kulturgruppen dieser Zeit (Stichbandkeramik, Trichterbecherkultur, Schnurkeramik) wissen wir, dass eine Besiedlung dieses Raumes, wie sie für die Altsiedlerlandschaften der Oberlausitz und Niederlausitz nachgewiesen ist, wohl nicht stattgefunden hat. Die Einzelfunde von Feuersteinbeilen bei Lindenau und in den Kmehlener Bergen (O. F. Gandert, 1933, S. 292, Abb. 18 und 19: Stadtgeschichtsmuseum Ortrand) und eines Axtbruchstückes bei Burkersdorf (Abb. 1, 1-2) beweisen jedoch die Anwesenheit des Jungsteinzeitlichen Menschen, seit es zur Jagd oder auf dem Durchzug. Allerdings ist das Axtbruchstück (vielleicht in späterer Zeit) als Klopfstein benutzt worden, wie die abgestumpfte Schneide beweist.

Auch in der Bronzezeit gibt es bisher keinen Fundplatz auf der Ortrander Gemarkung. Dafür bieten die umliegenden Gemarkungen Burkersdorf, Heinersdorf, Kroppen und Lindenau zahlreiches Material (J. Schneider, 1965, S. 218 ff.) Darunter sind Grabfunde der mittleren Bronzezeit bis zur jüngsten Bronzezeit. Siedlungsnachweise liegen aus Lindenau vor. In Heinersdorf und Lindenau wurden auch je ein Ring- bzw. Beilhortfund entdeckt (J. Schneider, 1965, S. 221, 223) Leider ist ein großer Teil der Funde als Verlust anzusehen, lediglich im Museum Senftenberg kann man, wie auch in der Heimatstube in Ortrand die Funde aus Kroppen, die nach 1945 vor allem vom Schulhofgelände geborgen wurden, studieren. Als Beispiel sei hier eine kleine Buckelkanne abgebildet (Abb. 1, 3), (R. Kißro, 1983, S. 39 ff.). In dieser Zeit (1500-800 v. u. Z.) ist mit ersten kleinflächigen Aufsiedlungen und Rodungen im Randbereich des Schraden zu rechnen.

Klimatechnische Trockenperioden ließen auch solche natürlichen Vernässungsgebiete wie den Schraden und den Spreewald soweit trockenfallen, dass sie in bestimmten Bereichen begehbar wurden. Die Bronzehortfunde sind die ersten Metallfunde dieses Gebietes. Ob in den zu den Gräberfeldern gehörenden Siedlungen Bronze verarbeitet wurde, wie dies in der Burg von Kosilenzien (Bad Liebenwerda) anzunehmen ist, wissen wir natürlich nicht.

Aus Grabfunden in der Ober- und Niederlausitz wissen wir, dass vor allem Weizen und Gerste angebaut wurden, aber auch Hirse und Saubohnen (Pferdebohnen) eine gewisse Rolle bei der Ernährung spielten. In einem Gräberfeld bei Saalhausen, wurden sogar Brot und Breireste in verkohltem Zustand aufgefunden. Rind und Schwein waren neben Schaf und Ziege die Hauptlieferanten von Fleisch, Milchprodukten und Fellen.

Das Ende der Lausitzer Kultur wird durch die eisenzeitliche sogenannte „Billendorfer Gruppe“ gebildet. Lediglich eine Randscherbe vom Friedhof Großkmehlen (Abb. 1, 4) gibt uns bisher den Hinweis, dass die Gegend um Ortrand wohl doch nicht ganz so siedlungsleer war. (D.-W. Buck, 1979)

Was allerdings für den gesamten Ostteil Südbrandenburgs zutrifft, hat auch für Ortrand und Umgebung Gültigkeit – von etwa 400 oder 300 v. u. Z. bis um 200 u. Z. gibt es keine Siedlungsnachweise. Und erst in germanischer Zeit dürfte der Südrand wieder besiedelt worden sein, worauf auch eine Fundnotiz in den Archivunterlagen des Landesmuseums für Vorgeschichte Dresden hinweist: „Westlich vom Wege Ortrand - Lindenau liegt am Rande einer Waldparzelle ein Feld, auf dem von Herrn Kantor Franke (ehem. Lindenau) eine Anzahl unverzierter Scherben sowie ein Spinnwirtel aufgefunden wurden, die ihrem Aussehen und ihrer Beschaffenheit nach den Burgunden zuzurechnen sind“. Für den nördlichen Schradenrand sind inzwischen zahlreiche Siedlungen mit Eisenverhüttung nachgewiesen worden. (G. Schober, 1984, S. 10 ff.).

Mit der Völkerwanderungszeit ziehen die Germanen in westlicher Richtung ab (zwischen 350 und 400; E. Meyer, 1976, S. 339). Das Land ist wieder für Jahrhunderte siedlungsleer und verwaldet. Zwar werden Wege, vor allem in nord- südlicher Richtung, das Land durchzogen haben, eine Aufsiedlung erfolgt dann aber erst in der zweiten Phase der deutschen Ostexpansion im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts und zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Anhand des archäologischen Fundmaterials, das bisher aus Ortrand und Umgebung vor allem dank der Aufmerksamkeit des ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegers R. Kißro und seiner Helfer geborgen werden konnte, ist nur ein ganz geringer Anteil der Keramik noch in das 12. Jahrhundert zu datieren, vor allem durch die wenigen spätslawischen Scherben (Abb. 1, 5-7). Damit ist gleichzeitig ein Hinweis auf die Beteiligung der slawischen Bevölkerung (der Daleminzer?) am Landesausbau gegeben, der anhand eines Radiocarbondatums einer gefällten Eiche von Arnsdorf um 1120±60 gelegen haben muss, eher wohl in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts voll zur Auswirkung kam. (Ersterwähnung Saathain: 1140)

Wenige Randscherben lassen eine zeitliche Ansetzung um die Wende zum 13. Jahrhundert möglich erscheinen. (Abb. 2, 1)

Sie stammen sowohl von der Stadtkirche als auch vom Topfmarkt, dem Standort des ehemaligen Schlosses. Eine große Menge von Keramik stammt aus dem 13. Bis 15./16. Jahrhundert und zeichnet sich durch hohe Kragenränder, helle Tonfarbe und fehlende Glasur aus.

Das Steinzeug kommt häufiger vor in dieser Zeit. Aus einem Brunnen auf dem Grundstück Nicolai in der Straße der Einheit, 1982 entdeckt, stammt neben einem Gefäßunterteil, einer Randscherbe, einer Schüssel mit Wellenrand, einem Fußknochen vom Tier und einem Glasrest auch der abgebildete bräunlich-graue Henkelbecher mit Bodenmarke (Radkreuz, Abb. 2, 2-10, 3, 1 und 3-4)

Auf der Südseite des Haag wurden unter einem Fundament mehrere Skelette aufgedeckt, bei denen 3 Gefäßteile lagen, von denen wir das vollständigste zeigen (Abb. 4). Die Zugehörigkeit der Gefäße zu den Skeletten ist allerdings fraglich. Als Beigaben sind die Stücke aus der Lage heraus nicht zu deuten, sie gehören vielmehr in die Kulturschicht, in die die Toten gebettet wurden. Möglicherweise handelt es sich um Kriegs- oder Seuchentote, die nicht in geweihter Erde bestattet werden sollten oder konnten.

Einen besonderen Fund stellt der Rest eines Aquamanile (Gießgefäß) dar, der im ehemaligen Scheunenviertel etwa 160 m südlich der Kirche St. Jakobi von Jürgen Stahr 1974 geborgen wurde (Abb. 5, 3D-Modell).

Gießgefäße gibt es in Metall und Ton. Unser Stück besteht aus hellbräunlichgelbem Ton, der mit einer rötlichbraunen Schlempe überzogen wurde. Dargestellt ist ein Reiter auf einem Pferd. Die Beine, der Schweif mit dem gesamten Hinterteil und die Schnautzenpartie sowie das Oberteil des Reiters sind in neuerer Zeit abgebrochen. Besonders das rockartige, gestreifte Unterteil des Reiters ist ungewöhnlich an der Figur, da auf allen Vergleichsstücken stets Männer abgebildet sind. Dieser Fund ist der erste seiner Art, aus dem Süden Brandenburgs, die nächste Parallele befindet sich bei Baruth, Kreis Bautzen (E. Kasten, 1976, S. 387ff). Eine tüllenartige Schnauze gehört zu einem weiteren gleichartigen Gefäßtypus, sie wurden am Haag gefunden (Abb. 3, 2). Ein kleines, auch nur bruchstückhaft überkommendes Pferdchen aus hellem, feinen „Pfeifenton“ ist wohl als Kinderspielzeug anzusehen und dürfte in das 14./15. Jahrhundert gehören. (Abb. 3, 5)

Die von verschiedenen Forschern vertretende Auffassung einer Stadtentwicklung von Süden nach Norden, von der Kirche St. Jakobi zum Topfmarkt, kann aus archäologischer Sicht bisher weder bestätigt noch widerlegt werden. Da für diese Zeit der Stadtentstehung schriftliche Quellen fehlen, ist die einzige Möglichkeit eine Klärung der vielen offenen Fragen zu erreichen, die sorgfältige Beobachtung und Dokumentation von Erdaufschlüssen im Altstadtgebiet und die Sicherung von zuverlässig dokumentiertem Fundmaterial. Sämtliche Bauvorhaben sollten deshalb mit dem zuständigen Bodendenkmalpfleger abgestimmt werden, da jeder Bauaufschluss unweigerlich die Vernichtung wichtiger Geschichtsquellen darstellt, vergleichbar mit der mutwilligen oder unwissenden Verbreitung von mittelalterlichen Urkunden. Nur der fachlich geschulte kann in den Erdaufschlüssen die Geschichte der Stadtentstehung ergründen und festhalten.

Literaturverzeichnis

Buck, D.-W., Die Billersdorfer Gruppe. Teil 2 - Text. Berlin 1979.

Gandert, O.-F., Die jüngere Steinzeit in der preußischen Oberlausitz, in: Jahreshefte der Gesellschaft für Anthropologie, Urgeschichte und Volkskunde der Preußischen Oberlausitz III, Görlitz 1933, S. 243 ff.

Kasten, E., Tönerne figürliche Gießgefäße des Mittelalters in Mitteleuropa, in Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege 20/21, 1976, S. 387 ff.

Kißro, R., Ur- und frühgeschichtliche Bodenaltertümer/Kroppen – ein Rätsel der Vergangenheit, in: Schriftenreihe für Heimatforschung, Kreis Senftenberg, 1/83, S. 39 ff., Senftenberg.

Meyer, E., Die germanischen Bodenfunde der spätrömischen Kaiserzeit und der frühen Völkerwanderungszeit in Sachsen. Text. Berlin 1976.

Nowel, W., Die geologische Entwicklung des Bezirkes Cottbus, Teil III/B: Das Quartär (Stratigraphie), in: Natur und Landschaft im Bezirk Cottbus 6. 1984. S. 3 ff.

Schneider, J. Die jüngere Bronzezeit des Bezirkes Cottbus, Ungedruckte Phil. Dissertation, Halle 1965.

Schober, G. Frühgeschichtliche Eisengewinnung im Kreis Bad Liebenwerda, in: Die Schwarze Elster Nr. 17, 1984, S. 10 ff.

Abbildungen