Das Lehnsmühlschloss in Ortrand

Das Lehnsmühlschloss und der ehemalige Gutsbezirk Lehnsmühle in Ortrand


Anke Fissabre, Christiane Hertwig, Klaus Schmidt, Andrea Sonnleitner, Potsdam

Lehnsmühlschloss Hofansicht des Lehnsmühlschlosses 2000

Östlich des Ortszentrums der Stadt Ortrand befindet sich auf dem Grundstück des ehemaligen Sägewerks mit dem sogenannten Lehnsmühlschloss oder -schlösschen ein Baudenkmal, dessen bauhistorische Untersuchung beachtenswerte Erkenntnisse zu Tage förderte. In der Kombination aus Quellenforschung, genauester Analyse der Bausubstanz und der Aufnahme der näheren Umgebung, konnte die Geschichte und Entwicklung des bisher so gut wie unbeachteten Renaissancebaus rekonstruiert werden.

Begriffsdefinition

Das sogenannte Lehnsmühlschloss Ortrand ist im Sinne der Baugattung kein Schlossbau, sondern gehört zur Gruppe der Guts- und Herrenhäuser. Diese immer in Verbindung mit Wirtschaftsanlagen von Gutshöfen stehenden Wohnhäuser, unterscheiden sich untereinander nicht baulich, sondern nur rechtlich. Handelt es sich bei einem Gut um einen selbständigen Rechts- und Verwaltungsbezirk, nennt man das Wohnhaus des Besitzers nicht einfach Guts-, sondern Herrenhaus. Als ehemaliger Mittelpunkt des Erblehngutes Lehnsmühle bei Ortrand mit eigener niederer Gerichtsbarkeit, ist das Lehnsmühlschloss daher als Herrenhaus zu bezeichnen.

Die Gründungszeit des Lehnsmühlengutes

Bisher sind keine Urkunden gefunden worden, die über das Gründungsdatum des Gutsbezirkes Lehnsmühle oder über die Erbauung des dazu gehörigen Lehnsmühlschlosses eindeutig Aufschluss geben. Es ist jedoch der Glücksfall eingetreten, dass sowohl die Quellen- als auch die Bauforschung übereinstimmende Fakten ergeben haben, die eine Gründung des Gutsbezirkes gemeinsam mit der Errichtung des Herrenhauses im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts nahelegen.

Vorab muss erwähnt werden, dass in den frühesten Quellen nie von einem Gut Lehnsmühle, sondern vereinfacht von Besitzern der „Lehnsmühle“ oder „Mühlherren“ die Rede ist. Durch unterschiedliche Bezeichnung ein und derselben Person in unterschiedlichen Zusammenhängen ist jedoch klar, dass hiermit immer die Besitzer des gesamten Gutes, innerhalb dessen die Mühle wohl immer die Hauptrolle gespielt hat, gemeint sind.

Portal Lehnsmühlschloss Portal des Lehnsmühlschlosses in seiner ursprünglichen Proportion

Die früheste derzeit bekannte Erwähnung des Namens Lehnsmühle stammt aus dem Jahr 1591, als die Witwe des chursächsischen Hauptmanns Hans Melchior von Milkau als Besitzerin urkundlich genannt wird. Da zeitlich parallel von „Der Mühle zu Ortrand“ gesprochen wird, ist anzunehmen, dass es im 16. Jahrhundert und auch zu Beginn des 17. Nur eine Mühle in Ortrand gab. Diese ist seit 1509 nachweisbar. Warum nennt man sie ab 1591 auch Lehnsmühle?

Eine Verknüpfung mit der Stadtgeschichte von Ortrand bietet dafür eine Lösung. 1560 wird das seit spätestens 1469/70 bestehende, von Amtmännern verwaltete, Amt Ortrand aufgelöst und die landesherrlichen Besitzungen, z.B. das innerhalb des Stadtwalls an dessen Ostseite gelegene Schlossgelände, werden verkauft. Unsere These ist nun, dass das außerhalb des Walles in der Nähe des Schlosses gelegene Areal mit der an der Pulsnitz gelegenen Mühle ebenfalls in landesherrlichen Besitz war und in Zusammenhang mit der Auflösung des Amtes zu einem selbständigen Mühlengut wurde. Die hier nur durch Kombination von Sachverhalten nachvollzogene Entwicklung ließe sich mit dem Wissen des 19. Jahrhunderts, als die Lehnsakten des Lehnsmühlenbezirkes nachweislich noch vorhanden waren, vermutlich bestätigen. Ein Briefpapier, das in den 1930er/40er Jahren in dem aus dem Gut hervorgegangenen Sägewerk Karl Schrödter benutzt wurde, ist ein Indiz dafür. Es heißt dort im Briefkopf: „Werksgründung vor 1561“. Die Familie Schrödter muss die Lehnsakten noch gekannt haben, weil sie den Mühlenbetrieb noch als Teil des Allodial- Erbmühlengutes im Jahre 1870 erworben hatte. Der Briefkopf könnte besagen, dass die Gründung der Mühle noch vor der Entstehung des Lehnsmühlengutes im Jahre 1561 liegt.

Diese aus den Quellen gewonnene Vermutungen lassen sich mit dem vorgefundenen Bau des Lehnsmühlschlosses gut in Beziehung setzen. Neben den architektonischen Formen, von denen weiter unten noch die Rede ist, gibt es eine konkrete Datierungshilfe durch eine allerdings schlecht lesbare Inschrift am Schlussstein des rundbogigen Sitznischenportals. Unter der mittig gesetzten Jahreszahl „1?5?6?7“ folgen die Buchstaben „E?S?I(?)G?G“ und der letzten Zeile darunter „C?V(?)??“. Während die Jahreszahl keine weiteren Fragen offen lässt, da sie sehr gut mit den Portalformen zu bringen ist, fehlt für eine Interpretation der Buchstaben noch jeglicher Anhaltspunkt.

Wesentlich besser als die eigentliche Gründung ist das weitere Bestehen des Gutes überliefert. 1596 ist der „Mühlherr“ Heinrich von Krakau.

Wahrscheinlich bleibt das Mühlengut nun bis 1636 im Besitz dieser Familie, als Hans Georg und Wolf Christoph von Krakau die Mühle an Hans Georg von Gersdorf verkaufen. Dieser veräußert sie bereits 1642 weiter an den churfürstlich- sächsischen Geleits- und Steuereinnehmer und langjährigen Bürgermeister von Ortrand, Dr. Andreas Petremann. Damit geht das Gut bereits sehr früh an einen bürgerlichen Besitzer. Mit diesem wird durch mehrere überlieferte Verträge erstmals die Bedeutung des Anwesens ein wenig besser fassbar. Petermann nimmt nicht nur – wie weiter unten noch geäußert wird – am Herrenhaus eine grundlegende Instandsetzung vor, auch vergrößert er den Gutsbesitz durch Rechte und Grundstückszukäufe. Da in den Akten von abgebrannten Häusern der Untertanen die Rede ist, und die erwähnten Bauarbeiten am Herrenhaus vorzunehmen waren, dürfte Petermann mit dem Lehnsmühlengut ein in Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen Krieg in Mitleidenschaft gezogenes Anwesen erworben haben. 1659 erlangt er für sich und seine Nachfolger vom Rat der Stadt die eben erst vom Landesherren erkauften Erbgerichte (die niedere Gerichtsbarkeit) über das Lehnsmühlgut und den Mahlzwang über die Bäcker von Ortrand. Letzterer verpflichtet die Bäcker, ihr gesamtes zum Backen benötigtes Getreide nur in der Lehnsmühle mahlen zu lassen. Petermann hat nicht nur das Gut fast 40 Jahre lang bis zu seinem Tod besessen, in seinen Rechten gestärkt und den Besitz vermehrt, sondern er hat als Bürgermeister auch am Aufbau Ortrands nach dem Dreißigjährigen Krieg maßgeblichen Anteil.

Die Besitznachfolger Petermanns stammen aus den adligen Familien der Herren von Gersdorf, von Lüttichau, der Pohlentzischen Herren zu Giegra, von Milkau und von Minckwitz.

Der Gutsbezirk Lehnsmühle

Am 12. September 1715 kauft der hochgräfliche Gerichtsverwalter Johann Jacob Piersig das Lehnsmühlgut von Frau Katharine Elisabeth von Minckwitz, geborene von Holtzendorff. In diesem ersten wörtlich überlieferten Kaufvertrag – in dem auch erstmals die Bezeichnung „Erblehn- Mühlengut“ verwendet wird – findet sich die früheste detaillierte Beschreibung des Lehnsmühlengutes vor den Toren der Stadt Ortrand. Den Kern des dazugehörigen Gebäudeensembles bildeten demnach die Lehnsmühle und das Lehnsmühlschloss.

In der Beschreibung der Pertinentien des Lehnsmühlengutes anlässlich des Kaufvertrages werden aufgezählt: „ein ganz steinernes und wohlrepariertes Wohnhaus und Seitengebäude samt dazu gehörigen Ställen und Röhrwasser, ein Obst- und wohlangelegter …garten, mit darinnen befindlichen Teichen und Fischhaltern, eine Mahlmühle mit drei brauchbaren und einem wüsten Gange, auch sechs Stampen, sowohl eine gangbare Brettmühle samt allenthalben dazugehörigen und guten Mühlen – Inventario, ferner eine Gerberwalke und zwei Stöcke, eine Oehlschlage und Bleichhaus so aber insgesamt wüste liegen, den Schützengarten am Walkteiche, alles Acker, davon ein Stücklein auf Lindenauischen Gerichten ohne alle Beschwerungen lieget, und Wiesenwegs, wie solcher zu den Mühlengut geschlagen und von der Gerberwalke und Bleichen an, bis an die alte Pulsnitz und den Fahrweg gehet und dieser Fahrweg auf acht Ellen breit, das Mahl- und Fischwasser die Pulsnitz genannt, woweit es zu diesem Mühlengute behörig, auch auf beiden Seiten in seinen Reinen und Steinen begriffen, acht Untertanen und deren Häuser, die ein jeder jährlich Vier Tage mit der Hand dienen und Zwanzig gute Groschen Erbzins entrichtet,…“

Bis 1870 bleiben Lehnsmühlschloss und Lehnsmühle immer in den Händen eines Besitzers. Am 18. Mai 1870 werden erstmalig nur Teile des Lehnsmühlgutes verkauft. Der Müllermeister Karl Traugott Schrödter aus Torgau erwirbt: „Mühlenwohnhaus und Mühlenwerk, kellerhaus und Schuppen, das Schneidmühlengebäude nebst Schneidemühle, einen abzutragenden Arbeitsschuppen, den Garten am Färberhaus, (ein) Mühlenackergrundstück in Burkersdorf, (das) Mühlenwieschen beim Pfarrwerth, das Wehr, zwei Brücken.“

In einer Akte von 1878 ist vermerkt: „Lehnsmühl ist nur ein großes Gut – in welchem Landwirtschaft und Müller(ei) betrieben wurde, und jetzt nur Müllerei betrieben wird – und acht kleine Häuser…“ Die acht kleinen Häuser, in denen früher die Untertanen wohnten, lagen gemäß den ersten vorhandenen Karten entlang der Schilfgasse, der heutigen Lehnsmühlstraße, und begrenzten den Lehnsmühlbezirk gen Westen. Über „das sogenannte Schloss“ heißt es, es ist … schon seit 2 Jahren ausgeboten, ohne das sich ein Käufer gefunden hat, so dass es, da es schon seit längerer Zeit ganz unbewohnt ist, seinem gänzlichen Verfall entgegen geht.“ Schließlich wird in Ottomar Scheuer ein Käufer für den ehemaligen Gutshof gefunden. 1880/81 reicht der neue Besitzer Baugesuche ein, um das Lehnsmühlschloss einschließlich der Nebengebäude instand zu setzen und Veränderungen vorzunehmen.

1875 beginnt die stückweise Eingemeindung des Gutsbezirks Lehnsmühl zur Stadt Ortrand. Im März 1883 wird konstatiert: „Der Gutsbezirk Lehnsmühl gehört in polizeilicher Hinsicht zur Polizeiverwaltung der Stadt Ortrand und steht mit der Stadt Ortrand im Verband bezüglich der (…) Schule. In standesamtlicher Hinsicht (gehört) Lehnsmühl unter das Standesamt Großkmehlen und bezüglich der übrigen Verwaltung unter das Amt Großthiemig…“ Seine Gesamtfläche beträgt im Dezember desselben Jahres 257,90 ha.

Der Schlossgarten südlich der Pulsnitz, Werth und Pfarrwerth nördlich der Pulsnitz sind ebenfalls Bestandteile des Gutsbezirkes. Auf der Flurkarte von 1863 sind sie als solches verzeichnet.

1904 werden der Mühlenbetrieb Schrödter und die acht Hausgrundstücke Teile von Ortrand. Mit der letztendlich erfolgten Zustimmung von Frau Bertha Herklotz, geb. Scheuer ist die Auflösung des Lehnsmühlbezirkes im Jahre 1906 abgeschlossen.

Während das nunmehr als einfaches Wohnhaus genutzte Lehnsmühlschloss als ehemaliges Herrenhaus an Bedeutung verloren hatte, blieb die Müllerei in der „Lehnsmühle“, die auch „Große Mühle“ genannt wird, weiter bestehen. Ab 1909 hieß der aus Mahl- und Schneidemühle sowie einer Brotbäckerei bestehende Betrieb „Ortrander Mühlenwerke Schrödter und Baudrich“, 1913-1969 „Säge- und Hobelwerk Karl Schrödter“

Das Gebäudeensemble des Lehnsmühlengutshofes und der modernisierten Mühlenanlage blieb bis Anfang der 1970er Jahre im Wesentlichen erhalten. Gravierende Veränderungen gingen mit der Gründung des „VEB Holzverarbeitungswerk Ortrand“ im Jahr 1972 einher, dem der Großteil des Geländes einverleibt wurde. In diesem Zusammenhang erfolgte 1973 die Verlegung des Pulsnitzbettes zwischen Eisenbahnbrücke und Pulsnitzbrücke. Die alten Flussarme auf dem Lehnsmühlengelände wurden verfüllt und die Wirtschaftsgebäude abgetragen. Nach der wenig erfolgreichen Privatisierung dieses Betriebes nach 1990 steht das Gebäude nun zur Disposition.

Trotz der zahlreichen Veränderungen gibt es Spuren, die nach wie vor Zeugnis ablegen von der Struktur des ehemaligen Lehnsmühlgutes. So sind die Grenzen des ehemaligen Gutsbezirkes Lehnsmühle heute noch am verlauf der Lehnsmühlstraße und an der Bruchsteinmauer am Rande des Gartens hinter dem Lehnsmühlschloss nachzuvollziehen. Dieser große Garten, einige Bäume der Uferbepflanzung des ehemaligen Pulsnitzbettes und der Bleichwiesen außerhalb des Sägewerksgeländes lassen noch die Einbettung dieses Gebäudeensembles in die Landschaft vor den Ortrander Stadttoren erahnen. Als bauliche Zeugen dieser langjährigen Geschichte sind nur noch die in einem Altneubau integrierten Grundmauern der Lehnsmühle (Mahlmühle) und als Reste des Gutshofes das Lehnsmühlschloss mit der großteiles noch vorhandenen Hofpflasterung erhalten.

Das Lehnsmühlschloss

Das Gebäude stellt die Dominante der heutigen dreiseitigen Hofanlage dar. Es ist vom Hof aus ein 7- achsiger, 2- geschossiger Putzbau auf rechteckigem Grundriss (21,50m x 10,50 m) mit einem Toilettenanbau auf der Rückseite. Es wird durch ein steiles Satteldach mit über die Dachhaut hinausragenden Giebelwänden abgeschlossen.

Während der nordöstliche Giebel mit einer einfachen Abtreppung und eierförmigen Eckbekrönungen abschließt, ist der südwestliche, zur Stadt ausgerichtete Giebel ein Schweifgiebel mit plastischen Voluten. Die Fassaden sind im oberen Bereich noch vollflächig verputzt und weisen acht unterscheidbare Farbfassungen auf.

Die innere Gebäudeorganisation ist durch eine Dreiteilung in Querrichtung und eine Zweiteilung in Längsrichtung gekennzeichnet. Der Zugang erfolgt durch ein außermittig gelegenes Sitznischenportal in der Hoffassade. Durch die zentrale mit Sandsteinplatten ausgelegte Diele werden die gartenseitig gelegene Küche und die zwei hofseitig gelegenen Räume erschlossen. Eine Treppe führt ins Obergeschoss. Der westlich gelegene Raum war ursprünglich gewölbt. Der dahinter liegende zeichnet sich dadurch aus, dass er der einzige unterkellerte raum des Hauses ist. Da der Keller wegen des anstehenden Grundwassers nicht tief ist, reicht er mit seinem Tonnengewölbe in den Raum hinein, d.h. der Keller liegt zur Hälfte unter der Erde und zur Hälfte im Erdgeschoss. Das Obergeschoss besteht aus einem mittig liegenden, durch die Längsmittelwand zweigeteilten Flur, von dem aus drei Wohneinheiten und der Toilettenanbau erschlossen werden.

Das Dachwerk ist ein zweigeschossiges Kehlbalkendach mit doppelt liegendem Stuhl und mit zwei von ehemals vier Spitzsäulen. Dem Dachstuhl aus sieben Gebinden liegen 21 Gespärre in einem Abstand von ca. 1,10 Meter auf.

Die Umfassungsmauern des Lehnsmühlschlosses wurden in Massivbauweise mit einer materialsparenden Bogennischenkonstruktion errichtet. Der untere Bereich besteht aus ausgezwickeltem Bruchsteinmauerwerk, das mit horizontalen Lagerschichten stabilisiert wurde. Ab Kopfhöhe setzte man den Bau mit Backsteinen im sogenannten Klosterformat fort. Als Setzmörtel verwendete man Lehm- und Fugenmörtel Kalkmörtel. An ausgewählten Stellen, so z.B.an Konsolen, Gebäudeecken und Fenstergewänden, wurden Sandsteinwerksteine verwendet.

Die Innenwände des Lehnsmühlschlosses sind im Erdgeschoss aus Backsteinmauerwerk. Im Obergeschoss dagegen sind die Raumtrennungen leichtere Fachwerkwände in unterschiedlicher Stärke. Nach oben schließen die Räume durch z.T. sichtbare Balkendecken mit in Schiffskehlen auslaufenden Profilen ab. Auch im Inneren konnten zahlreiche, teils qualitätsvolle Farbfassungen hergestellt werden.

Die Baugeschichte des Lehnsmühlschlosses

Das Lehnsmühlschloss wurde in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts in seiner noch bestehenden Kubatur errichtet. Die Raumaufteilung des Erdgeschosses entspricht im Wesentlichen der heutigen Situation. Anders als heute erfolgte der Zugang in den Keller ursprünglich nicht von der Gartenseite, sondern er lag im Inneren des Hauses unter der Treppe in der Diele. Das Obergeschoss war weniger unterteilt und entsprach im Prinzip dem Erdgeschossgrundriss. Die Belichtung erfolgte - zumindest im Obergeschoss – über wesentlich kleinere und unregelmäßig angeordnete Fenster. Die bauliche Konzeption des „von-innen-nach-außen-Denkens“ führte dazu, dass die Fenster dort positioniert waren, wo es von innen her zweckdienlich war. Auf eine achsiale Anordnung wurde nicht geachtet. Ihre Lage lässt sich fast vollständig an noch vorhandenen geputzten sowie gemalten Fensterfaschen an den Fassaden ablesen. Im Erdgeschoss bestanden die Fenstergewände aus Sandstein mit eingearbeiteten Falzen für Fensterläden. Zur Erbauungszeit verfügte das Lehnsmühlschloss über nur einen Kamin mit einem großen Querschnitt von 1.20 Meter X 0,60 Meter, Folglich konnten nur die Räume in der nordöstlichen Gebäudehälfte beheizt werden.

Die Herdstelle befand sich wie heute in der nördlichen Ecke der Küche und war von einem großen Rauchabzug überspannt, der etwa Zweidrittel der Küche eingenommen haben muss. Der große Saal nördlich der Diele wurde von einem Hinterladeofen beheizt, der von der Küche aus befeuert wurde. Zwei Aborterker sind durch teils abgeschlagene Sandsteinkonsolen auf der Gartenseite nachweisbar. Auf diesem 50 cm vorkragenden Konsolen waren Brettereinhausungen aufgesetzt.

Bürgermeister Dr. Petermann, der das Gut 1642 erwarb, ließ das vermutlich im Dreißigjährigen Krieg beschädigte Gebäude von Grund auf umbauen und sanieren. Diese Baumaßnahmen werden durch dendrochronologische Proben (1645d) belegt. Sämtliche Decken im Erdgeschoss wurden neu eingebaut. Die Balkenprofile der neuen Deckenbalken unterscheiden sich geringfügig von denen alten Balken. Im Erdgeschoßsaal links von der Diele ist eine Bretterbalkendecke aus dieser Zeit erhalten. Dieser Raum weist auch die früheste feststellbare Farbfassung auf, die wahrscheinlich dieser zweiten Bauphase zuzuordnen ist. Der Rauchabzug wurde in der Küche, im Obergeschoß und im Dachraum umgebaut. Unter Belassung der Deckenbalken des Obergeschosses und der Giebelwände wurde das Dachwerk neu aufgestellt. Es ist bis heute in dieser Form und Konstruktion erhalten geblieben.

Im folgenden Jahrhundert lässt sich keine größere Baumaßnahme nachweisen. Aus der Zeit des Klassizismus hat sich aber eine schöne Innenraumgestaltung im oberen Flur erhalten, die unter einem Eierstabfries illusionistisch gemalte Wandfelder mit Marmorimitationsmalerei aufweist. Um mehr Räume einzeln beheizen zu können, baute man einen zweiten Schornstein in der südwestlichen Gebäudehälfte. Mit seinem Neubau zwischen 1850 und 1870 musste der Kellerzugang auf die Gartenseite verlegt werden. Es folgten kleinere Umbauten im Dachraum und an der Herdstelle im Küchenbereich.

Eine wichtige Bauphase ist archivarisch durch den Bauantrag Ottomar Scheuers von 1881 überliefert. Er strebte eine „ästhetische Korrektur“ der Fassade und anderer Umbauten im Inneren an. Die in zwei Grundrissen und zwei Fassadenansichten dargestellten beabsichtigten Veränderungen wurden teilweise realisiert und lassen sich heute gut von anderen umbauten am Gebäude unterscheiden: In den fassaden wurde ein Großteil der Fensteröffnungen verändert, d.h. sie wurden vergrößert und achsial über dem Erdgeschoss „zurechtgerückt“. Eine weitreichende Reparatur betraf den westlichen Teil der Hoffassade. Am zentralen Eingangsbereich ließ Scheuer den Bogen des Sitznischenportals höher setzen und eine neue Tür mit halbrundem Oberlicht einbauen. Auf der Gartenfassade wurden spätestens dann die beiden Aborterker entfernt und durch einen Toilettenanbau ersetzt.

Die Räume wurden entsprechend der aktuellen Auffassung von Wohnkultur verändert. Die Decken wurden abgehängt, im Obergeschoss Zwischenwände eingezogen und zwei angeschlossene Wohneinheiten geschaffen. Jede Einheit verfügt über einen Küchenofen und durch Kachelöfen beheizbare Zimmer.

Um 1913 wurden Reparaturen am Dachwerk vorgenommen. Der Südwestliche Schaugiebel musste wegen seiner bedrohlichen Schieflage abgetragen werden. Die Vermutung eines Brandes als ursache konnte nicht bestätigt werden. Der Giebel wurde durch einen geschweiften Neorenaissancegiebel im damals modischen Binder- Schichtmauerwerk ersetzt. Das aussehen des vorherigen Giebels ist ungewiss, laut einer alten Stadtansicht handelte es sich aber wahrscheinlich ebenfalls um einen geschweiften Renaissancegiebel. Aus der Innenraumgestaltung des 20. Jahrhunderts ist die Supraportenmalerei in der Erdgeschossdiele erwähnenswert. Über der Tür zum großen Saal befindet sich eine Kopie der „Ährenleserinnen“ des frühen französischen Realisten Jean Francois Millet, die umgeben ist von einer älteren, plastisch geputzten Rahmung mit stilisierten Ähren.

In den 1960er und 80er Jahren folgten kleinere Grundrissveränderungen und Reparaturen an der Dachhaut und am unteren Teil der Schaugiebelfassade. Für einen durch den letzten Besitzer geplanten Umbau wurden später hinzugeführte Trennwände im Erdgeschoss wieder entfernt, die Böden teilweise herausgerissen und der Putz im ehemals gewölbten Raum abgeschlagen. In diesem Zustand ist das Gebäude heute erhalten.

Typologische Einordnung des Lehnsmühlschlosses

Das Lehnsmühlschloss ist ein repräsentatives Gebäude mit herausragenden dekorativen Elementen. Hervorzuheben sind am Außenbau Schaugiebel, Sandsteingewände, Sitznischenportal und Sandsteinkonsolen. Im Inneren sind die profilierten Deckenbalken, der ehemalige gewölbte Raum und der große Saal besonders erwähnenswert. Neben der dendrochronologischen Datierung und stilistischen Einordnung sprechen große Ähnlichkeiten mit der Gebäudestruktur anderer Herrenhäuser für eine Datierung des Lehnsmühlschlosses in das 16. Jahrhundert. Als typisch anzusehen ist die Gebäudekubatur mit Zweigeschossigkeit und steilen Satteldach ebenso, wie der rechteckige Grundriss mit der erschließung über einen Hauptzugang von der Traufseite.

Bogennischenkonstruktionen, die auf profilierten Konsolen auflagern, finden sich auch in anderen Renaissancebauten, wie den Schlössern in Oberau und Großkmehlen.

Die Grundrissgestaltung des Lehnsmühlschlosses ist mit der Teilung in drei Querbereiche mit je zwei Räumen, wobei in der Mittelachse Diele und Küche liegen, einfach und klar. Die Diele mit dem Eingangsportal bildet den zentralen Erschließungsraum und ist mit besonderen Baudetails ausgestattet. Hier befindet sich eine bauzeitliche Sandsteinkonsole mit einem Renaissance- Tulpen -motiv in Flachrelief und die Kartusche über der Tür zum großen Saal. In den Herrenhäusern in Bagow, Badingen, Ketzür und Lünow ist die zentrale Wohndiele und der dreizonige Grundriss ebenso charakteristisch wie im Lehnsmühlschloss. Ein weiteres für das Herrenhaus der Renaissance typisches Bauteil ist der ehemalige gewölbte Raum rechts neben der Diele. Gewölbe sind in einzelnen Räumen der Herrenhäuser von Bagow, Badingen, Lünow und Demerthin vorhanden. Aus alten Schlossinventaren ist die Bezeichnung dieser gewölbten räume als Hofstuben überliefert. Darunter hat man sich Schreibstuben vorzustellen, die als Geschäfts- und Arbeitszimmer der Gutsherrschaft dienten.

In seiner Grundform gleicht das Lehnsmühlschloss sehr den genannten Herrenhäusern der Renaissance. Baumaterialien und stilistische Merkmale lassen sich der sächsischen Kulturlandschaft verbinden, zu dessen Territorium die Stadt bis 1815 gehörte.

Für herausragende Baudetails wurde im Lehnsmühlschloss Sandstein, vermutlich ein Elbsandstein der Cottaer oder Reinhardtsdorfer Varietät verwendet. Die beiden erhaltenen steinernen Fenstergewände, die erhaltenen Konsolen der Aborterker und die innere Gestaltung der Fensterlaibungen weisen als gemeinsames Merkmal eine Abfasung mit abgesetzter Schiffskehle auf. Viele sächsischen Schlossbauten der Renaissancezeit haben ähnliche, doch meist aufwendiger gestaltete Fenstergewände.

Das Sandsteinportal in der Hoffassade des Lehnsmühlschlosses gehört zum Typus des ungerahmten Rundbogenportals mit ornamentierten Sitznischen. Es besitzt weder eine rechteckige Umrahmung in Form einer Ädikula noch ein bekrönendes Gesims. Die Kämpferzone wird durch den oberen Nischenabschluss mit geflügelten Engelsköpfen in den Kalotten betont. Das häufig vorkommende Gesims zwischen Rundbogen und Nischenabschluss fehlt. Portale ohne besondere Kämpferbetonung mit sehr ähnlichem Aufbau finden sich im nahen Meißen mit dem 1536 datierten Portal in der Burgstraße 9 und mit jenem des spätmittelalterlichen Lehnshofes von ungefähr 1550. Stilistisch gehören beide Portale einer früheren Phase an, dennoch weisen sie mit dem Ortrander Portal große strukturelle Ähnlichkeit in der Gestaltung der Sitzsteine mit stilisierten Blütenkelchen auf. Eierstäbe, besonders in den äußeren Archivolten, und geflügelte Engelsköpfe als figürliche Zutat von Nischenabschlüssen oder auf Kämpfergesimsen kommen als gängige Renaissancemotive in- und außerhalb von Sachsen sehr häufig vor. Das Sitznischenportal des Lehnsmühlschlosses lässt sich zeitlich und regional in die sächsische Baulandschaft des letzten Drittels des 16. Jahrhunderts sehr gut einordnen.

Als Verwaltungssitz und Mittelpunkt des Lehnsmühlgutes erinnert das Herrenhaus mit dem zu großen teilen erhaltenen Hofpflaster und dem rückwärtigen Garten an das ehemalige Gut Lehnsmühle, das mit der Stadt Ortrand durch eine fast 350- jährige gemeinsame Geschichte verbunden ist. Durch die Quellen- und Bauforschung am Lehnsmühlschloss lassen sich neue Erkenntnisse für die Stadtgeschichtsforschung gewinnen.

Mit seiner in die sechziger Jahre des 16. Jahrhunderts fallende Bauzeit gehört das Lehnsmühlschloss zu den frühesten erhaltenen Beispielen seiner Baugattung in Brandenburg und Sachsen und zu einem der wenigen erhaltenen Renaissancebauten des Landes Brandenburg. Im Unterschied zum aufwendigen Schlossbau aus derselben Zeit, für den es in der näheren Umgebung viele Beispiele gibt, haben sich kleinere Herrenhäuser in dieser Ursprünglichkeit kaum erhalten. Die wenigen Umbauphasen lassen sich gut identifizieren und ermöglichen den Rückblick in vorhergehende Zustände des Gebäudes. Beispielsweise lässt sich anhand der noch sichtbaren Fensterfaschen die originale Fensteranordnung erkennen. Das Wissen um die vergangenen Bauzustände darf jedoch nicht dazu führen, das Gebäude auf „den ursprünglichen Zustand“ zurückführen zu wollen. Dabei würden etwa erhaltenswerte spätere Malschichten verloren gehen. Der Wert des Lehnsmühlschlosses liegt gerade auch in der Abfolge der Anpassungen an jeweils neue Wohnbedürfnisse und ästhetische Vorstellungen. Diese Anpassungen sollten als Dokument der Baugeschichte des Gebäudes erhalten bleiben.

Ein Zusammenspiel von sichtbar gemachten historischen Strukturen und der Wiederbelebung durch zeitgemäße Nutzungen könnte dem Gutshof mit dem Lehnsmühlschloss zukünftig die rolle eines städtebaulichen und kulturellen Zentrums zuweisen. Zentrale Aufgabe wird es sein, das Lehnsmühlschloss wieder in das öffentliche Bewusstsein zu rücken und in das Ortrander Stadtleben einzubinden.

Quellen:

  1. Die Untersuchungen wurden von den Autoren gemeinsam mit Ingeborg Rose Melz im 2. Halbjahr 2000 durchgeführt und in einer ausführlichen Dokumentation mit dazugehörigen Plänen aufgearbeitet. Die unveröffentlichte Arbeit mit dem Titel „Lehnsmühlschloss Ortrand – Bestandsaufnahme, Einordnung, Nutzungsmöglichkeiten“ kann im Amt Ortrand (Stadtarchiv) eingesehen werden.
  2. Zur Begriffsbestimmung siehe Henning v. Ruhmor und Neuschläffer, Hubertus: Schlösser und Herrenhäuser in Schleswig- Holstein, Frankfurt/M. 1983, S. 12 und Bock, Sabine: Gutsanlagen und Herrenhäuser, Betrachtungen zu den historischen Kulturlandschaften Mecklenburg und Vorpommern, Schwerin 1996, S. 8-9
  3. Die aus einer „ungesicherten Quelle“ stammende Jahreszahl 1480 als Erbauungsdatum des Lehnsmühlschlosses ist aufgrund der Bausubstanz keinesfalls haltbar. Vgl. Kißro, Reinhard: Zur Entwicklungsgeschichte der Stadt Ortrand, in: Festschrift 750 Jahre Stadt Ortrand, 1238-1988, S. 15-41, hier S. 22
  4. Felitzsch, Heinrich Erwin Ferdinand: Zur Familiengeschichte des deutschen insonderheit des Meißnischen Adels von 1570 bis ca. 1820. Kirchenbuch – Auszüge der ganzen Ephorie Großenhain … Großenhain und Leipzig 1896, S. 185. Es kann also nicht richtig sein, dass das Lehnsmühlgut von 1662, als Hans von Krakau den Schlosswall zum Bau eines Hauses erwirbt, bis 1636 im Familienbesitz der Krakaus ist. Vgl. Kißro (Anm. 3), S. 22
  5. Mansberg, Richard Freiherr von: Erbarmannschaft Wettinischer Lande. Dresden 1908, S. 91 und 198
  6. SAO 2345, S. 39.
  7. Annales Ortrandensens. Aufzeichnungen von dem Kastenherren Caspar Richter von 1577 bis 1633 und 1672 bis 1682. Abschriftlich im Stadtmuseum Ortrand. Freundlicher Hinweis von Herrn Kißro
  8. Felitzsch. (Anm. 4), S. 185
  9. Sächs. Hauptstaatsarchiv Dresden, Rep. A. 25 I 2674
  10. Diese Zuerwerbungen werden in dem unten besprochenen Kaufvertrag von 1715 erwähnt. SAO 2343, S. 1a-5b.
  11. Ortrand war bis zum Prager Friedensschluss 1635 vom Kriegsgeschehen betroffen. Siehe Kißro (Anm. 3), S. 24
  12. SAO 2343, S. 17a-20a und SAO 2340, S. 8a
  13. Der Rat der Stadt drückt 1659 seine Dankbarkeit für die Bemühungen des Bürgermeisters um die „Beruhigung des gemein Stadtwesens, sonderlich die Vererbungssache der churfürstlichen Amtsnutzungen“ aus SAO 2343, S. 17a, b. Offensichtlich war Petermann auch maßgeblich an der im selben Jahr erfolgten Wiedergewinnung der Schriftsässigkeit der Stadt beteiligt. Diese hatte sie aufgrund von angehäuften Schulden für 23 Jahre verloren.
  14. SAO 2343, S. 1a-5b
  15. SAO 2714, S. 11
  16. SAO 2343, S. 29b.
  17. SAO 2343, S. 30a
  18. Baugesuch von 1880 in SAO 2909, S. 210a; Baugesuche von 1881 ebda., S. 215a, 217a
  19. SAO 2343, S. 83b
  20. SAO 2343, S. 41a
  21. Flurkarte 1863, Katasteramt Calau
  22. SAO 2494/1, S. 1
  23. SAO 2345/1, S. 15
  24. SAO 2345/1, S. 13
  25. Kißro, S. 34
  26. Siehe dazu die darstellung der stadt Ortrand im Jahre 1785, nach dem Zittauschen hist., topogr., monatl. Tagebuche, Januar 1785
  27. Zu den Vergleichsbeispielen siehe: Helmigk, Hans Joachim: Märkische Herrenhäuser aus alter Zeit. Berlin 1929, S. 1-20 und Badstübner, Ernst: Schlösser der Renaissance in der Mark Brandenburg. Berlin 1995, S. 33-39
  28. Helmigk (Anm. 27), S. 22-23 SAO – Stadtarchiv Ortrand